Leseprobe
Barbarazweige
„Schatz, sei so lieb und schneid doch ein paar Zweige vom Kirschbaum ab, ich werde sie dann in eine Vase stellen!“
Da ich durchaus etwas auf die alten Adventbräuche hielt, ließ ich mich von meiner Frau nicht lange bitten, holte die Baumsäge aus dem Keller und erfüllte ihr umgehend ihren Wunsch.
Während sie die Zweige einfrischte und schließlich auf der Anrichte im Esszimmer aufstellte, fragte sie mich: „Du weißt doch hoffentlich noch, was das bedeutet, wenn wir sie bis Weihnachten zum Blühen bringen?“
Ich murmelte ein etwas mürrisch klingendes „Ja“, musste mir dann aber trotzdem eine Erklärung meiner besseren Hälfte anhören: „Verheiratet sind wir ja schon, also kann es nur bedeuten, dass wir ein absolutes Glücksjahr vor uns haben, falls sie tatsächlich blühen!“
Und sie blühten.
Schon am Morgen des Heiligen Abends zerrte mich meine Frau ins Esszimmer, um mir das in die Stube geholte Wunder der Natur zu zeigen.
„Schau, die Barbarazweige! Freu dich auf das große Glück, das dich im kommenden Jahr erwartet!“
Ich freute mich also, aber nicht lange, denn schon wenige Tage nach den Weihnachtsfeiertagen zweifelte ich daran, ob das wirklich ein Glücksjahr werden würde. Beim allwöchentlichen Hallenfußball mit meinen Altherrenkollegen passierte zwar nichts wirklich Schlimmes, zumindest nichts mit Dauerfolgen, aber im Rückblick muss ich schon sagen, dass es so etwas wie der Auftakt zu einer echten Pleiten-, Pech- und Pannenserie war. Jedenfalls spielte mir ein Mitspieler einen Ball wunderbar halbhoch zu, ich übernahm volley, traf den Ball ganz optimal, er flitzte mit riesigem Tempo in Richtung Tor, prallte von der rechten Stange zurück und traf mich just dort, wo es Männern bekanntlich besonders unangenehm ist. Während ich mich vor Schmerz am Boden krümmte, schienen sich meine Kollegen bestens darüber zu amüsieren, denn noch nachdem ich mich endlich wieder einigermaßen erholt hatte, lachten einige herzhaft und erzählten einander zum wiederholten Mal, wie witzig das ausgehen habe. Mitlachen konnte ich zwar nicht, immerhin aber bald darauf weiterspielen – etwas, das einige Monate später dann nicht mehr möglich war. Ich greife hier zwar ein wenig vor, da es sich aber um ein weiteres Fußballerlebnis handelt, möchte ich das lieber gleich hinter mich bringen. Es war inzwischen Hochsommer und wir hatten unseren Altherrenkick natürlich ins Freie verlegt. In meinem Übereifer eilte ich einem weiten Querpass eines Kollegen derart flott hinterher, dass ich über die Outlinie hinaus auf die ziemlich nahe Betonfläche geriet – wo es mit einemmal mit den Metallstollen kein Halten mehr gab. Wie ein tollpatschiger Eiskunstläufer schlitterte ich noch ein paar Meter weiter, um schließlich etwas unsanft auf der Betonfläche zu landen. Das Ganze muss wieder äußert amüsant ausgesehen haben, denn erneut konnten sich die lieben Mitspieler vor Lachen nicht halten, während ich mit schmerzverzerrtem Gesicht dalag. Die Schürfwunden an den Knien und an den Ellbogen wären ja noch erträglich gewesen, aber leider hatte auch das rechte Sprunggelenk einiges abbekommen. Gut zwei Wochen konnte ich mich mit einem entsprechenden Verband nur hinkend fortbewegen, und erst im Herbst war an eine Wiederaufnahme meiner Altherrenfußballkarriere zu denken. Mein Comeback dauerte leider nicht lange. Denn schon beim zweiten Antreten nach meiner mehrwöchigen Verletzungspause kegelte ich mir beim zugegeben etwas unsinnigen Versuch, einen ohnehin nur zwanzig Zentimeter hohen Ball per Kopf ins Tor zu befördern, nach einer ziemlich unsanften Landung die linke Schulter aus – worauf mir der Arzt, es war blöderweise derselbe, der zwei Monate zuvor auch meine Bänderverletzung im Knöchel behandelt hatte, den dringenden Rat gab, es doch bitte ab sofort mit einer anderen Sportart zu versuchen.
Auch zwischen diesen sportlichen Pannen war ich in besagtem Barbarazweigeglücksjahr nicht unbedingt von Fortuna verfolgt. Im Feber schickte mich mein Chef zu einem wichtigen Termin nach Rumänien, wo ich in unserem Zweigbetrieb die dortigen Abteilungsleiter über die weitere Vorgehensweise instruieren sollte. Natürlich wollte ich einen guten Eindruck machen, vielleicht war ja dies die lange erwartete Chance, um endlich auf der Karriereleiter emporzuklettern. Leider fielen die Rückmeldungen über meinen Vortrag nicht allzu positiv aus, denn ich war zunehmend davon irritiert, dass meine Zuhörer nach anfänglichem Schmunzeln immer mehr in fast hysterisches Lachen ausbrachen, ohne dass ich mir erklären konnte, warum; das, worüber ich sprach, konnte es nicht sein, zumindest anfangs nicht. Und als ich mich dann in einen derartigen Wirbel hineinredete, dass die Dolmetscherin schließlich w.o. gab, weil sie einfach nicht mehr wusste, wo vorne und hinten war – ich übrigens auch nicht –, war das ja erst ein Ergebnis dieser seltsamen Lachkrämpfe, die mich so irritiert hatten. Erst nachdem ich völlig durcheinander den Vortragsraum verlassen hatte und ins WC geeilt war, entdeckte ich den Grund für die Heiterkeitsausbrüche: Ich hatte den Vortrag mit offenem Hosentürl gehalten, und der Obergscheite aus Österreich mit Anzug und Krawatte, aber mit offenem Reißverschluss an besagter Stelle war für die Rumänen Grund genug, um völlig aus dem Häuschen zu geraten.
Ja, und in dieser Tonart ging es eben das ganze Jahr weiter. Ein ungeschickter Einparkversuch mit nachfolgendem Blechschaden im März, eine offensichtlich nicht allzu begabte Jungfriseurin, die mir von meiner urlaubenden Friseurin als mögliche Alternative empfohlen worden war und die mir dann aber eine Fastglatze beschert hatte, im April; ein blaues Auge, als ich meine jüngste Tochter spätnachts aus der Disco abholen wollte und in eine Massenschlägerei geriet, im Mai; ein ungeschickter Sturz in voller Bekleidung vom Tretboot in den Wolfgangsee während eines verlängerten Wochenendes im Juni usw. Ein monatliches Unglück also mindestens – bis einschließlich November.
Und dann näherte sich wieder der vierte Dezember, also der Barbaratag, an dem ein Jahr davor meine Pechsträhne ihren Anfang genommen hatte. Als ich einen Tag davor von der Arbeit heimkam, sprang mich meine Frau gleich nach dem Öffnen der Tür in der Manier unseres riesigen Nachbarhundes an, sodass ich fast rücklings hingefallen wäre. Ich konnte mich und den Freudenausbruch meiner Frau gerade noch auffangen und erfuhr dann allmählich trotz ihres wilden Gekreisches, dass wir im Lotto gewonnen hatten – Fünfer mit Zusatzzahl, gar nicht wenig, muss ich sagen.
„Die Barbarazweige des Vorjahrs haben also doch Glück gebracht!“, jubelte meine Frau.
Auf so ein Glücksjahr kann ich verzichten, dachte ich mir.
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