Home Druckversion Sitemap Diese Seite weiterempfehlen 

Leseprobe aus "BURGENland"

1


Rudi Taschler machte sich auf den Weg nach Hause. Die letzten Sonnenstrahlen dieses herrlichen Frühsommertages versickerten gerade langsam im Hochwald, der die Weingärten des Csaterberges wie eine Insel wirken ließ, umgeben von einem wogenden grünen Meer. Es war also höchste Zeit für ihn geworden. Taschlers nicht immer gerader, aber irgendwie beschwingter Schritt brachte ihn rasch vom Kleincsater hinunter zu jener Wegkreuzung, wo er eine Entscheidung treffen musste. Sollte er doch noch nach einer Heimfahrgelegenheit Ausschau halten, die sich garantiert bieten würde, allerdings immer verbunden mit dem Risiko, dass er in eine weitere Runde feierwütiger Bekannter geraten könnte und dass es dann noch dauern würde, bis er wirklich nach Hause kam? Oder sollte er lieber bei seinem ursprünglichen Plan bleiben und den ganzen etwa einstündigen Heimweg zu Fuß zurücklegen? Früher hätte sich diese Alternative schon deshalb nicht gestellt, weil er längere Fortbewegung auf seinen eigenen Beinen für etwas völlig Unzeitgemäßes hielt. Immerhin war das Auto schon erfunden, also wozu sollte man sich dieser Bequemlichkeit verweigern? Das war bestenfalls etwas für eigenwillige alternative Spinner, aber doch nichts für einen derart geerdeten Mann wie ihn! Seine schwere Erkrankung genau in dem Jahr, als der Maurer in Pension gehen wollte, hatte ihn allerdings radikal umdenken lassen. Oder besser gesagt: Es war ihm gar nichts anderes übriggeblieben. Ein kurzer Moment der Erinnerung an diese schweren Wochen und Monate in seinem Leben unmittelbar nach dem Schlaganfall reichte aus, um zu wissen, was jetzt zu tun war. Denn wie von selbst wählten seine Beine den Weg nach links. Er verließ die asphaltierte Straße und folgte einem Schotterweg in Richtung Süden. Ungefähr zweihundert Meter danach bog er gleich hinter dem ehemaligen Forsthaus abermals nach links ab und nahm den Weg, der ihn durch den Wald in Richtung Fischteich führen würde. Bis auf das laute Grillengezirpe und gelegentliche Geräusche, die der hier nur leicht spürbare Wind im Wald erzeugte, umgab ihn bereits völlige Stille. Von den diversen Buschenschänken und privaten Feierrunden war nichts mehr zu hören.

Als er gerade über eine unscheinbare Brücke den nahezu ausgetrockneten Bach, der den Fischteich speiste, überqueren und in den nun beginnenden Hochwald eintauchen wollte, nahm Taschler hinter sich ein Geräusch wahr, mit dem er hier und noch dazu um diese Tageszeit nicht mehr gerechnet hatte. Ein Auto näherte sich, wenn auch nur ganz langsam, aber schon deutlich hörbar. Er vermutete, dass es beim Forsthaus rechts abbiegen würde. Wahrscheinlich jemand, der zu viel getrunken hatte und sich jetzt über einen Schleichweg heimwärts bewegen wollte, was nicht ungefährlich war. Denn natürlich kannten die einheimischen Polizisten diesen besonders bei Festen gerne gewählten Weg vom Csaterberg in Richtung St. Kathrein und von dort weiter ins untere Pinkatal.

Taschlers Vermutung erwies sich allerdings als falsch, denn der Wagen bog offensichtlich nach links ab und folgte ihm. Als er nicht mehr allzu weit entfernt war, blickte sich Taschler um, wurde aber von den Scheinwerfern derart geblendet, dass er so gut wie gar nichts erkennen konnte. Instinktiv trat er ein wenig zur Seite, also vom Weg in den Wald hinein, um das Fahrzeug passieren zu lassen. Genau in dem Moment gab der Fahrer plötzlich Gas und steuerte das Auto mit aufheulendem Motor rasend schnell an ihm vorbei in Richtung Fischteich. Eine mächtige Staubwolke bescherte Taschler nicht nur einen lästigen Hustenreiz, sondern zwang ihn für kurze Zeit auch dazu, die Augen zu schließen und zu warten, bis er seinen Weg einigermaßen unbehelligt fortsetzen konnte. „Idiot!" Obwohl das Fahrzeug inzwischen bereits außer Sichtweite war und der Fahrer Taschlers Äußerung natürlich keinesfalls hören konnte, machte er seinem Ärger mit einem Brüller Luft. Was war denn das für eine seltsame Aktion gewesen? Und wer fuhr denn so spät noch auf diesen Privatwegen herum? Die Schlossherrin von Kohfidisch, der die Waldungen hier um den Fischteich gehörten, sah so etwas gar nicht gern, auch wenn sie hei allen Festen, die auf dem Csaterberg stattfanden, großzügig die Schranken öffnete, um Gästen die Schönheiten dieser Gegend zugänglich zu machen. Aber doch nicht bei Einbruch der Dämmerung und schon gar nicht auf diese verrückte Art und Weise! Taschler hoffte, dass sich die Schranken vielleicht gerade jetzt wieder schließen und so den unbekannten Eindringling dazu zwingen würden, nach einem Ausweg aus seiner Misere zu suchen, die er sich durch seine unüberlegte Aktion selbst eingebrockt hatte.

Während er immer noch von seiner Verärgerung völlig eingenommen war und sich gar nicht beruhigen konnte angesichts der Tatsache, wie rücksichtslos sich Menschen benehmen konnten, hatte er das kurze Waldstück durchquert und bekam langsam das Ufer des großen Fischteichs in den Blick. Außerhalb des Hochwalds reichten die Reste des Tageslichtes noch aus, um die Umrisse der Wasserfläche beziehungsweise Bäume und Gebüsch an deren Rand einigermaßen deutlich zu erkennen. Vom Wagen des Unbekannten war hingegen nichts zu sehen und auch nichts zu hören. Womöglich hatte er also bereits vor dem Fischteich die Abzweigung in Richtung Deutsch Schützen genommen. Doch als Taschler schon fast am Ufer, dem sein Heimweg nach Harmisch für etwa zweihundert Meter folgen würde, angelangt war, blendete ihn das plötzlich wieder eingeschaltete Scheinwerferlicht erneut. Erst wenige Sekunden danach wurde der Motor des Wagens gestartet und das Gefährt langsam wieder in Bewegung gesetzt. Im Schritttempo rollte es auf ihn zu. Auch hier war der Weg so schmal, dass Taschler automatisch ein wenig zur Seite trat, einen Moment lang gar nicht daran denkend, dass es hier auf beiden Seiten des Weges ziemlich sumpfig sein konnte. Aber er hatte Glück und erwischte ein günstiges Platzerl, um den Wagen passieren zu lassen. Es dauerte einige Sekunden, bis dieser auf seiner Höhe war und an ihm vorbeirollte, immer noch ausgesprochen langsam. Taschler kam diese rücksichtsvolle Vorgangsweise nach dem, was er nur gut zehn Minuten zuvor erlebt hatte, äußerst merkwürdig vor. Genau in dem Moment bewegte sich das Auto an ihm vorbei. Er glaubte zu erkennen, dass sich nur eine Person im Wageninneren befand, mehr und Genaueres war allerdings nicht auszumachen, der Wechsel heraus aus den Lichtkegeln der Scheinwerfer hinein in das Halbdunkel gleich danach ließ einfach nicht mehr zu. Taschler hätte nicht einmal mit Sicherheit sagen können, ob ein Mann oder eine Frau am Steuer saß. Umso deutlicher konnte er aber beim Nachblicken das Kennzeichen des Wagens erkennen. Das Fahrzeug trug zu Taschlers großem Erstaunen eine italienische Nummerntafel und war offensichtlich in Bozen beziehungsweise in der Umgehung der Südtiroler Stadt zugelassen worden. Wie zum Henker kam jemand von dort hierher an diesen völlig abgeschiedenen Ort? Genauer vermochte Taschler aber nicht darüber nachzudenken, denn nur etwa 50 Meter von ihm entfernt hielt der Wagen. Was passierte da gerade? Plötzlich durchzuckte Taschler ein eigenartiger Gedanke, begleitet von einem noch seltsameren Gefühl, das ihn wie ein elektrischer Schlag durchströmte und ihn mit riesigen Schritten auf dem Weg in Richtung Harmisch davoneilen ließ. Erst später wurde ihm bewusst, dass er einen Moment lang tatsächlich das Gefühl gehabt hatte, der Fahrer könnte aus dem Wagen steigen und für ihn zur Gefahr werden. Denn in Wahrheit dauerte diese Flucht nur wenige Sekunden, bis Taschler hörte, wie der Motor des Wagens plötzlich in schon bekannter Weise aufheulte und das Auto in einer neuerlichen Staubwolke in die Dunkelheit hinein verschwand. Während das Motorengeräusch immer leiser wurde und schließlich gänzlich verklang, hatte sich Taschlers Pulsschlag allmählich wieder so weit beruhigt, dass er den Heimweg nun ohne weiteres Herzrasen fortsetzen konnte. Doch als er an dem Steg vorbeikam, bei dem der Wagen vorhin gestanden sein dürfte, und sein Blick über die im Dämmerlicht ein wenig mystisch glänzende Wasseroberfläche glitt, erstarrte der Mann aus Harmisch beinahe zur Salzsäule. Nur wenige Meter vom Ufer entfernt und in unmittelbarer Nähe des Stegs trieb etwas im Wasser, was den erkennbaren Umrissen zufolge in Taschler sämtliche Alarmsirenen losschrillen ließ.