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Leseprobe aus "Zungen wie von Feuer"

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Nach dem Riesenschnitzel und dem Kartoffelsalat war Willi Rieger mehr denn je gerüstet für eine zweite, größere Csaterbergerkundung. Vom Wirt hatte er sich erklären lassen, wie man auf den sogenannten Hochcsater kam. Und auf dem Weg dorthin, vorbei zunächst an einigen Häusern und Weingärten, die ihm nun schon bekannt vorkamen, ließ er noch einmal das seltsame Gespräch mit dem sonderbaren kleinen Wirt Revue passieren, der Werner hieß und zunächst gar nichts geredet und später wie ein Wasserfall gesprudelt hatte, allerdings ein wenig unsystematisch und irgendwie doch so eigen, dass man sich nicht ganz zu Unrecht ein bestimmtes Bild von ihm machen musste. Am meisten beschäftigte Rieger die Frage, warum dieser Werner es so seltsam fand, dass Hofer diesmal im Gasthaus ein Fest für seine Gäste veranstaltete und nicht in seinem eigenen Kellerstöckel. Bei genauerer Überlegung fiel Rieger zumindest ein sehr guter Grund ein, warum man auf so etwas kommen konnte. Vielleicht waren Hofer in den vorangegangenen Jahren einfach die Vor- und Nachbereitungen zu viel geworden. Vielleicht wollte er sich diesmal eben auch selber bedienen lassen. Ja, nicht nur vielleicht, sondern sogar sehr wahrscheinlich. Geld hatte er inzwischen ja sicher genug. Also warum sollte er sich die Hände sozusagen selber schmutzig machen?
Rieger überlegte. Sich selber nicht die Hände schmutzig machen, sondern andere für sich arbeiten lassen: Warum hatte sich sein Gedanke gerade in diese Worte gekleidet? Wollte ihn sein Unterbewusstsein auf eine bestimmte Fährte bringen? Nach einem Moment des Nachdenkens schüttelte Rieger den Kopf und setzte seinen Weg fort. Jetzt hörte er wohl langsam das Gras wachsen. Nein, ganz einfach, dieser Hofer wollte sich einen schönen Tag mit Freunden machen und selber möglichst wenig dabei in die Pflicht genommen werden können. Das passte zu dem Bild, das Rieger bisher von diesem blondierten Lockenkopf gewonnen hatte. Und mehr als ein vages Gefühl war es ja auch bei diesem Wirt wohl nicht gewesen.
Er überquerte eine Brücke. Ein richtiger Bach war nicht erkennbar, bestenfalls ein kleines Rinnsal. Allerdings deutete ein ziemlich ausgeschwemmtes Bachbett an, dass hier gelegentlich auch mehr Wasser unterwegs sein konnte. Danach stieg der Weg wieder steil an und führte durch ein Waldstück auf jene zweite Erhebung, die Rieger als besagten Hochcsater vermutete.
Als er am Ende des Anstiegs wieder aus dem Wald herauskam, stand er mit einem Mal an einer Wegkreuzung, die ihm gleich drei Wahlmöglichkeiten zur Fortsetzung seiner Wanderung bot. Zwar wäre es das Einfachste gewesen, die Straße einfach gerade weiterzugehen, aber da sich die Gelegenheit ergab, fragte Rieger trotzdem nach. Links am Straßenrand stand nämlich ein kleines, schon ein wenig schiefes Marterl, vor dem eine ältere Frau damit beschäftigt war, Blumenschmuck – offensichtlich für den morgigen Festtag – anzubringen.
„Entschuldigen Sie, ist das hier der Hochcsater?“
Die Frau drehte sich langsam um und erhob sich dabei aus ihrer gebeugten Haltung, während sie gleichzeitig eine Hand schützend vor die Augen hielt, um von der Nachmittagssonne nicht geblendet zu werden.
„Nicht von hier, was? Ja, das ist der Hochcsater. Dort oben ist der Gipfel!“
Mit der vorher als provisorischem Sonnenschutz verwendeten Hand deutete sie nun in die Richtung hinter das Marterl.
„Und wo komme ich hin, wenn ich geradeaus bzw. rechts weitergehe?“
„Wenn´S grade weitergehen, kommen´S entweder auf den Eisenberg oder über einen Umweg auch auf den Hochcsater. Und rechts geht´s an einem Hof vorbei und dann Richtung Deutsch Schützen. Aber dafür braucht man dann schon anderthalb Stunden!“
„Danke! Sie bereiten wohl schon alles für morgen vor?“
Die Frau kam näher und stand nun nur noch einen Meter von Rieger entfernt wie er auf der asphaltierten Straße. Sie hatte ein Kopftuch auf und war auch sonst nicht gerade nach der neuesten Mode gekleidet. In ihrem faltigen Gesicht entdeckte Rieger aber sehr lebendige Augen und einen freundlichen, aufgeschlossenen Blick.
„Ach so, Sie sind wegen des morgigen Kirtags da. Zu wem gehören´S denn?“
„Erwin Lang, der ehemalige Volksschullehrer, sagt Ihnen der was? Ich bin das Enkelkind von seiner Schwester Resi!“
„Die Resi Lang, ach Gott, lang, lang, ist´s her! Wie geht´s ihr denn?“
„Na ja, nicht so gut, sie ist ein Pflegefall und seit einiger Zeit im Altersheim, leider. Und auch mit ihrer …“ Rieger überlegte einen kurzen Moment, welchen Ausdruck er verwenden sollte. „… Geisteskraft ist es nicht gerade zum Besten bestellt! Inzwischen erkennt sie niemanden mehr.“
„Schlimm, wirklich schlimm, das ist das Ärgste, wenn einen der Verstand verlässt!“
Und dann erzählte die Frau, ganz offensichtlich dankbar dafür, einen Zuhörer gefunden zu haben, von ihren diversen Wehwehchen und wie schön es in alten Zeiten gewesen sei. Rieger hörte zu und genoss gleichzeitig den Blick über die sattgrünen Wälder und die dicht belaubten Weingärten, die den sanft ansteigenden Hügel zu seiner Linken bedeckten.
Schließlich musste er den Redeschwall der alten Frau aber doch wieder irgendwie unterbrechen, und da kam es ihm durchaus gelegen, dass plötzlich ein Traktor mit lautem Getöse und hinter ihm zwei Autos vorbeifuhren, die an der Kreuzung nach rechts abbogen. Rieger verabschiedete sich von der Frau, drehte sich dann aber doch noch einmal um und fragte:
„Entschuldigen Sie, eine Frage habe ich noch: Wissen Sie etwas von einer Burg, die es hier auf dem Csaterberg einmal gegeben haben soll?“
„Eine Burg? Nein, keine Ahnung, davon weiß ich nichts! Wie kommen´S denn auf die Idee?“
„Ich habe davon im Internet gelesen.“
„Ach dieses neumodische Zeug, wenn ich das schon höre! Aber wenn hier am Csaterberg jemand davon weiß, dann der Pischta, ich meine Stefan Schneider. Sie finden ihn an der Weggabelung am Kleincsater!“
Rieger bedankte sich für den Tipp, verriet aber nicht, dass ihm Pischta Schneider ohnehin schon bekannt war. Sonst hätte das Gespräch vielleicht doch noch eine längere Fortsetzung genommen.
Er schlug den linken Weg ein, der ihn auf den Gipfel des Hochcsaters führte. Obwohl es sich, wie er ebenfalls von seinen Internetrecherchen wusste, nur um eine Erhebung von nicht einmal vierhundert Metern handelte, bot sich oben auf der Anhöhe, neben einer kleinen spätbarocken Kapelle aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in der er eine aus derselben Zeit stammende Madonna mit Kind bewunderte, ein wirklich atemberaubender An- und Ausblick. So weit das Auge reichte, nur Weingärten und Wälder auf sanften Hügeln, eine Luft, die man am liebsten in alle Zellen seines Körpers direkt eingesaugt hätte, und ein sanftes Blätterrauschen, das von keinerlei sonstigem Lärm gestört wurde. Hierher verirrten sich ganz offensichtlich nur selten Autos, denn längst war die anfangs asphaltierte und später gut geschotterte Straße in einen ziemlich holprigen Feldweg übergegangen. Rieger konnte den wunderschönen Ort in seiner beschaulichen Stille aber nur ganz kurz genießen, denn er selbst oder besser gesagt sein mitgebrachtes Handy erwies sich wieder einmal als Störenfried. Nachdem er kurz mit Steiner gesprochen hatte, entschloss er sich doch schneller zur Rückkehr in dessen Keller, als es ursprünglich von ihm geplant war. Er wollte nun doch genauer wissen, was ihm Kurt gemailt hatte. Sollte er ihn anrufen? Nein, er würde es erst tun, wenn er über den Inhalt der Nachricht informiert war und wusste, was er im Namen Steiners nachfragen sollte.
Er wählte hangabwärts einen Weg durch die Weingärten, den er nicht kannte, der aber gefühlsmäßig auf die Asphaltstraße zurückführen musste. Und tatsächlich befand er sich bald wieder an der Stelle, wo er am Vormittag bei seiner ersten Runde nach einem ziemlich steilen Abstieg gelandet war. Sollte er sich da hinaufkämpfen oder doch lieber den etwas weiteren, dafür aber sanfter ansteigenden Weg wählen? Rieger, in Erinnerung an das Riesenschnitzel, das er immer noch in sich verspürte, entschied sich für Variante eins. Tatsächlich hatte ihn sein erster Eindruck am Vormittag nicht getäuscht, das waren wirklich etwa dreihundert Meter Steilhang, den er da zu überwinden hatte. Er kam ganz schön ins Schwitzen, doch nach wenigen Minuten war der höchste Punkt erreicht und er befand sich nur noch wenige Meter von Steiners Keller entfernt. Eine der drei Brandruinen lag unmittelbar vor ihm, auch eine zweite war schon zu erkennen. Gab es irgendein Muster, warum gerade diese drei Keller dran glauben hatten müssen? Der eine, hinter bzw. unter dem sich die entdeckten Grundmauern einer möglichen Burg befanden, war wohl nicht ganz zufällig ausgesucht worden. Was aber verbarg sich hinter oder unter den beiden anderen? Gab es auch dort etwas, wovon jemand anderer mehr wusste? Rieger schritt die Distanz zwischen den drei Brandruinen ab und überlegte. Alle drei lagen auf derselben Seite der Straße, nämlich bergseitig. Wenn man davon ausging, dass sich hier einmal eine mittelalterliche Burganlage erstreckte, dann hätte diese ohne Weiteres das ganze Areal der drei Brandruinen, die maximal hundert Meter auseinanderlagen, umfassen können. Doch wenn dem so war, mussten dann nicht deutlich mehr Keller beseitigt werden, um umfassende Grabungsarbeiten oder was auch immer zu ermöglichen?
Ein schrecklicher Verdacht ließ Rieger in Steiners Keller zurückeilen und sein Notebook aktivieren.
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